Seit Antje von Dewitz an der Spitze von Vaude steht, hat sich bei dem deutschen Outdoor- Ausstatter vieles verändert – besonders, was die Frauen in dem Familienunternehmen betrifft. Die Vaude-Chefin über Diversität in Familienunternehmen, „Made in Germany“ und wieso Frauen mehr Fragen beantworten müssen als Männer.
Frau von Dewitz, Sie sind nun seit über 25 Jahren in Ihrem Familienunternehmen Vaude, seit 2009 sind Sie Geschäftsführerin. Eine lange Zeit, in der sicher viel passiert ist. Was ist die größte Veränderung?
Als ich Ende der Neunziger bei Vaude angefangen habe, gab es kaum Frauen in Führungspositionen. Mir wurde das besonders bewusst, als ich schwanger wurde und feststellte, dass ich kaum weibliche Vorbilder in der Unternehmensleitung kannte. In
ländlichen Regionen war es damals noch selbstverständlich, dass Kinderbetreuung Frauensache war – und Karriere für viele Frauen gar keine realistische Option. Heute liegt unser Frauenanteil in Führungspositionen stabil bei über 40 Prozent.
Wie haben Sie diesen Wandel gemeistert?
Als ich dann das Unternehmen übernahm und weibliche Führungskräfte einstellen wollte, bekam ich von Frauen immer wieder Absagen. Die Begründungen waren fast immer dieselben: „Ich habe Kinder“, „Die Arbeitszeiten sind mir zu unflexibel“, „Das Klima in Meetings ist zu ruppig“. Das war für mich ein klares Zeichen, dass die Rahmenbedingungen das Problem sind und dass sie geändert werden müssen. Also haben wir uns gezielt mit den Ursachen auseinandergesetzt und Strukturen geschaffen, die echte Chancengleichheit ermöglichen.
Wie sehen diese Strukturen aus?
Entscheidend war der Kulturwandel: Wir haben eine Vertrauenskultur aufgebaut, in der wir auf Augenhöhe miteinander umgehen. Dabei zählt nicht, wer am längsten im Büro sitzt, sondern welche Ergebnisse erzielt werden. So ist ein neues Führungsverständnis entstanden, das dazu beiträgt, dass Frauen heute bei uns selbstverständlich Karriere machen. Dazu haben wir flexible Arbeitszeiten, ein betriebliches Kinderhaus, Homeoffice, Meetings nur vor 17 Uhr eingeführt.
Sie selbst haben eine Familie mit vier Kindern und sind dazu noch Geschäftsführerin eines der bekanntesten Outdoor-Unternehmen – da werden Sie sicher oft gefragt, wie Sie das alles meistern. Wie geht es Ihnen mit dieser Frage?
Diese Frage wird vor allem Frauen gestellt. Ich gebe gerne meine eigenen Erfahrungen weiter und freue mich, wenn ich andere Frauen inspirieren kann. Gleichzeitig sollte uns bewusst sein, dass wir damit ungewollt das Bild festigen, dass Familienverantwortung mehr Frauensache ist. Mal gelingt es mir besser, mal fällt es mir schwerer – und ich denke, dass es uns allen so geht, nicht nur uns Frauen.
Wie schaffen Sie es konkret und sind Sie dabei auch ein Vorbild für Ihre Mitarbeitenden?
Es ist vor allem eine Frage der Organisation. Ich habe gelernt, dass es nicht darauf ankommt, rund um die Uhr zu arbeiten, sondern darauf, effizient und fokussiert zu sein, gehe aber auch mal früh nach Hause. Mir ist es wichtig zu zeigen: Es ist okay und wichtig, Beruf und Privatleben in Balance zu bringen. Führungskräfte prägen unsere Kultur maßgeblich. Was sie vorleben und verändern, hat eine große Wirkung. Mir ist es wichtig, bei Vaude ein Arbeitsumfeld zu bieten, in dem Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist.
2009 haben Sie die Geschäftsführung von Ihrem Vater übernommen. Hatten Sie das Gefühl, als Frau mehr unter Beobachtung zu stehen?
Ich denke schon, dass ich genauer beobachtet wurde – zum einen als Frau in der Unternehmensleitung, zum anderen als Tochter des Gründers.
Dabei belegen Studien, dass Diversität zu wirtschaftlichem Erfolg führt …
Das kann ich nur bestätigen! Vielfalt bringt uns weiter. Teams mit unterschiedlichen Perspektiven treffen bessere Entscheidungen, sind kreativer und innovativer. Wir erleben das jeden Tag. Unternehmen sollten alle Perspektiven und Kompetenzen nutzen, um Lösungen für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu finden und die notwendige Transformation zu schaffen. Wir brauchen Diversität, um als Wirtschaft innovationsstark und zukunftsfähig zu sein. Es ist keine Zusatzaufgabe, sondern ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.
Trotzdem hat es die Frauenquote gebraucht, um viele Unternehmen dazu zu zwingen. Ist das genug, um wirklich einen Kulturwandel herbeizuführen?
Meine Meinung dazu ist differenziert. Eigentlich sollte Diversität selbstverständlich sein. Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, besitzen ein Eigeninteresse, diverse Teams zu haben. Aber die Realität zeigt: Frauen sind in den Führungsetagen noch immer unterrepräsentiert. Solange das so ist, braucht es politische Maßnahmen, um strukturelle Benachteiligung abzubauen.
Sie haben Vaude komplett transformiert und zu dem gemacht, wofür es heute steht: Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Sind Frauen sich dieser Themen bewusster und auch mutiger, sie anzugehen?
Das ist mehr eine Sache der Haltung als des Geschlechts. Frauen bringen oft andere Prioritäten ein, aber es gibt auch viele Männer, die nachhaltige Transformation vorantreiben. Entscheidend ist, dass man den Mut hat, Dinge anders zu denken und Verantwortung zu übernehmen.
Das haben Sie an der Spitze von Vaude getan. Einfach weitermachen wäre sicherlich der bequemere Weg gewesen …
… aber ich wollte positive Veränderungen gestalten und voranbringen. Wir sind überzeugt davon, dass Unternehmen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen und Lösungen für die globalen Herausforderungen finden sollten. Das macht sie innovativer und widerstandsfähiger und schafft eine bessere Arbeitswelt für alle.
Allein an der Spitze der 100 umsatzstärksten deutschen Familienunternehmen standen 2024 nur zwei Frauen. Vor allem Familienunternehmen tun sich noch schwer mit der Diversität, wie eine Studie der AllBright Stiftung zeigt. Wie erklären Sie sich das?
Viele Familienunternehmen sind noch stark von traditionellen Strukturen geprägt. Die Vorstellung, dass eine Führungskraft ihr gesamtes Leben der Firma widmen muss, ist tief verankert. Deshalb braucht es auch mutige Vorbilder, die zeigen, dass es anders geht, dass Diversität kein zusätzlicher Faktor, sondern die essenzielle Grundlage für eine langfristig wettbewerbsfähige Wirtschaft ist.
Es sind hochpolitische Zeiten, die mit der Beliebtheit der AfD vor allem für Frauen beängstigend sind. Die Partei steht für ein rückwärtsgewandtes Frauen- und Familienbild, will Frauenquoten abschaffen – können Unternehmen da überhaupt unpolitisch bleiben?
Wer für Gleichberechtigung, Vielfalt und eine offene Gesellschaft steht, kann nicht schweigen. Unternehmen sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft und müssen Haltung zeigen – gerade in Zeiten, in denen unsere Grundwerte in Frage gestellt werden.
Die kulturelle Diversität in Deutschland war eine weitere große Debatte im Wahlkampf. Es wurde viel und hitzig über den Umgang mit Migranten diskutiert. Welche Rolle spielen diese in Ihrem Unternehmen?
Allein unsere „Made in Germany“-Produkte werden in unserer Manufaktur von Mitarbeitenden aus 22 Nationen gefertigt. Und wir wollen auch zukünftig „Made in Germany“ anbieten können. Ich verstehe nicht, warum dringend benötigte Arbeitskräfte
abgeschoben werden sollen. Und auch darüber hinaus ist Vielfalt unsere Stärke! Bei Vaude schöpfen wir – wie so viele andere Unternehmen auch – unsere Kraft aus einem Team, das sich aus Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammensetzt, aus ihren unterschiedlichen Ideen und Meinungen. Deshalb liegt es mir besonders am Herzen, dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt.
Als Mitgründerin der Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“ wollen Sie ausländische Fachkräfte in den Arbeitsmarkt integrieren, und zwar nicht nur bei Vaude. Wieso ist Ihnen das so eine Herzensangelegenheit?
Nicht nur für uns, sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland ist es wichtig, für ausländische Fach- und Arbeitskräfte attraktiv zu bleiben. Schon jetzt herrscht in Deutschland in vielen Bereichen ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Bis 2030 soll die Lücke allein aufgrund der demografischen Entwicklung auf fünf Millionen Menschen ansteigen. Mit unserer Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“ setzen wir uns für Menschen ein, die hier arbeiten und sich integriert haben. Wir brauchen Zuwanderung für unsere Industrie, für unseren Wohlstand und für unser aller Wohlergehen. Wir schaden uns selbst am meisten, wenn wir Zuwanderung dämonisieren und Integration verhindern.